Kennst du das Gefühl, wenn du schläfst, aber gleichzeitig bei vollem Bewusstsein bist? Wenn du deinen Körper fast nicht mehr spürst und du allmählich das Gefühl zu deinem Körper verlierst? Du bist nur noch ein kleiner Punkt in deinem Kopf und alles um dich herum wird unwichtig? Ein Zustand, in dem du komplett tiefenentspannt bist? – Genau das ist Yoga Nidra.
Yoga Nidra ist der yogische Schlaf. Dabei befindet man sich in einem tiefen meditativen Zustand, in dem man seinen Körper komplett hinter sich lässt. Der Körper schläft und du bist tiefenentspannt. Man sagt, dass eine Stunde Yoga Nidra drei Stunden Tiefschlaf entspricht. Demnach hättest du bereits nach zwei bis drei Stunden Yoga Nidra am Tag (bzw. in der Nacht) deinen Schlafbedarf gedeckt – klingt ziemlich absurd, oder?
Aber allzu ernst würde ich diese These nicht nehmen. Der Körper benötigt nun mal seine Erholungsphasen in Form von Schlaf. Während des Schlafs laufen diverse Regenerationsprozesse, wie viele Zellteilung ab. Beim täglichen Üben mehrerer Stunden Yoga Nidra laufen diese nicht plötzlich schneller ab. Außerdem ist es wohl ziemlich schwer mehrere Stunden Yoga Nidra zu praktizieren, da der Geist irgendwann einfach den Geist aufgibt. Das heißt, wir schlafen ein. Und eigentlich geht es beim Yoga Nidra darum, nicht einzuschlafen.
In den letzten Jahren wird Yoga Nidra in den USA vermehrt zur Rehabilitation der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) angewandt. Auch bei Veteranen und Häftlingen findet Yoga Nidra immer mehr Anwendung – jedenfalls in den USA.
Dieser Artikel gibt dir einen Überblick zu den Methoden und Wirkungen von Yoga Nidra.
Was ist Yoga Nidra?
Definition
Yoga Nidra ist eine Yoga Praxis, die aus dem Tantra-Yoga stammt und darauf abzielt, alle Körperschichten (physische, energetische, emotionale und intellektuelle Schicht) zu vereinen. Die Aufmerksamkeit wird nacheinander auf diese Schichten gelegt, um eine ganzheitliche Wahrnehmung zu erreichen. Dies ist der Ort, an dem Heilung stattfindet.
Yoga Nidra ist der sogenannte yogische Schlaf. Tatsächlich schläft in dieser Praxis aber nur der Körper – der Geist ist hellwach. Die Praxis versucht durch bestimmte Übungen das Panchamaya Kosha System, die Schichten des Körpers, zu durchlaufen.
In den 1960er Jahren arbeitete der Yogi Saraswati mit diversen Neurologen zusammen und führte Yoga Nidra im Westen ein. Zehn Jahre später, in Studien dieser Mediziner, konnten die unglaublichen Effekte von Yoga Nidra dokumentiert werden.
Heutzutage leben wir, um zu arbeiten. In der 40 Stunden Woche bleibt kaum Zeit fürs entspannen und erholen von Stress. Wir können, selbst wenn wir frei haben, uns oft kaum entspannen.
Aus der Not heraus greifen wir zu Medikamenten, Suchtmitteln oder ungesunder Nahrung, um den Stress zu kompensieren. Das Resultat dieser gestressten und leistungsgetrimmten Gesellschaft
Yoga Nidra …
- fördert die Gefühle der Ganzheitlichkeit, Ruhe und des inneren Friedens,
- entpolarisiert Anziehung und Abneigung und
- verbindet die fünf Schichten des Panchamaya Kosha Systems zu einer Erfahrung.
„Zu dem zu erwachen, was wir WIRKLICH sind, und uns von dem zu befreien, was wir zu sein DENKEN“ – das ist Yoga Nidra.
Gary Kraftsow
Yoga Nidra praktizieren
Welche Formen von Yoga Nidra gibt es?
Yoga Nidra bedeutet „Schlaf des Yogis“. Dabei handelt es sich aber nicht um gewöhnlichen Schlaf, sondern um einen Zustand tiefer Entspannung bei gleichzeitig wachem Bewusstsein. Zwischen Schlaf und Wachsein öffnet sich ein Raum, in dem Körper, Geist und Seele heilen können.
Über die letzten Jahrzehnte haben sich verschiedene Formen entwickelt. Drei davon schauen wir uns genauer an:
- Yoga Nidra – Swami Satyananda
- Deep Relaxation – Nischala Devi Joy
- iRest Yoga – Richard Miller
Das Klassische Yoga Nidra
Swami Satyananda Saraswati brachte Yoga Nidra in den 70er- und 80er-Jahren in den Westen. Sein Ansatz richtete sich an die Allgemeinbevölkerung und konzentrierte sich vor allem auf die Kraft der Konzentration.
Bekannt wurde Satyananda durch seine Arbeit mit Häftlingen. In Gefängnissen beobachtete er, wie sich die Praxis auf Aggressivität und Impulsivität auswirkte. Tatsächlich zeigten die Insassen nach regelmäßigen Yoga-Nidra-Sitzungen weniger Gewaltbereitschaft und mehr Gelassenheit im Umgang mit Mitgefangenen und Mitarbeitenden. Zwar handelte es sich nicht um standardisierte wissenschaftliche Studien, doch seine Beobachtungen eröffneten ein neues Feld: den Einsatz von Yoga Nidra in der Arbeit mit Häftlingen und psychisch erkrankten Menschen.
„Wenn das Bewusstsein getrennt
– Swami Satyananda
und unabhängig von mentaler Aktivität ist,
wenn Wachsein, Träumen und Tiefschlaf
wie Wolken vorbeiziehen,
das Bewusstsein des Selbst jedoch bestehen bleibt,
ist dies die Erfahrung völliger Entspannung…
Deshalb gilt Yoga Nidra im Tantra
als Tor zum Samadhi.“[1]
Deep Relaxation
Nischala Joy Devis Ansatz heißt nicht umsonst Deep Relaxation. Ziel ist es, Menschen in einen Zustand tiefer körperlicher und geistiger Ruhe zu führen. Dabei verbindet sie Elemente des Yoga Nidra mit Techniken der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson. Muskelgruppen werden bewusst angespannt und anschließend wieder losgelassen – ein Prozess, der Anspannung löst und das Nervensystem beruhigt.
Deep Relaxation eignet sich für alle Menschen, auch für Einsteiger:innen, und ist besonders hilfreich für Stressabbau, Herzpatient:innen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen. Durch die Kombination aus sanften Anleitungen, Körperwahrnehmung und Atemlenkung entsteht eine wohltuende Balance zwischen aktiver Beteiligung und passivem Geschehenlassen.
iRest
Der amerikanische Psychologe und Yogalehrer Richard Miller entwickelte iRest – eine moderne Form des Yoga Nidra, die sich gezielt an Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) richtet. Besonders Veteranen profitierten von dieser Methode, was mehrere Studien seines Instituts bestätigten.
Inzwischen wird iRest in den USA offiziell im Gesundheitssystem genutzt – als ergänzende oder sogar alternative Therapieform zu Medikamenten. Die Praxis hilft nicht nur bei PTBS, sondern auch bei Angststörungen, Depressionen, chronischen Schmerzen und Schlafstörungen. iRest legt besonderen Wert auf innere Ressourcen: Menschen lernen, einen „sicheren Ort“ in sich zu finden, auf den sie auch im Alltag zurückgreifen können. Deine Form des Yoga Nidra ist sehr sanft und ruhig, daher ist sie besser für traumatisierte Personen geeignet als z.B. die klassische Form des Yoga Nidra
Was brauchst man für Yoga Nidra?
Das Schöne: Yoga Nidra ist unglaublich einfach zugänglich.
Alles, was du brauchst, ist ein ruhiger Ort, an dem du dich hinlegen oder bequem hinsetzen kannst. Das Bett ist weniger geeignet, da wir es stark mit Schlaf verknüpfen – die Gefahr, einfach wegzudösen, ist groß. Besser ist eine Yogamatte mit Decke, ein Sessel oder ein Stuhl. Auch eine Wand kann als Unterstützung dienen.
Wichtig ist nur: Finde eine Position, in der du entspannt und gleichzeitig wach bleiben kannst. Alles andere darfst du kreativ gestalten.
Wirkung von Yoga Nidra
Im Yoga Nidra begibst du dich in einen besonderen Bewusstseinszustand: zwischen Schlaf und Wachsein. Dein Körper liegt ruhig, während dein Geist der Stimme des Lehrers folgt. Typische Elemente sind die Körperreise, Atembeobachtung, Visualisierungen oder das Zählen des Atems.
Am Anfang fällt es vielen schwer, die Aufmerksamkeit bei der Praxis zu halten – doch wie bei allem gilt: Übung macht den Meister.
Studien und Erfahrungsberichte zeigen beeindruckende Wirkungen:
- tiefe Ruhe und Regeneration
- verbesserter Schlaf
- gesteigerter Fokus und Konzentration
- weniger Angst und negative Gedanken
- Stärkung des Immunsystems
- besseres Erinnerungs- und Denkvermögen
- Zugang zu Kreativität und innerer Stärke
Besonders für Menschen mit PTBS, Depressionen, Angststörungen, Erschöpfung oder stressbedingten Erkrankungen hat sich Yoga Nidra als wirksam erwiesen.
Wer kann Yoga Nidra praktizieren?
Wer kann Yoga Nidra praktizieren?
Ganz einfach: Jeder Mensch mit einem Körper.
Auch wenn es zu Beginn etwas Übung braucht, kann jede:r von den positiven Effekten profitieren. Besonders hilfreich ist die Praxis für Menschen, die:
- unter Stress oder Schlafproblemen leiden,
- eine traumatische Erfahrung gemacht haben,
- ihre innere Balance wiederfinden wollen,
- sich selbst besser kennenlernen möchten.
Gerade bei Traumata oder psychischen Erkrankungen ist es jedoch sinnvoll, die Praxis in Begleitung eines erfahrenen Lehrers oder in Absprache mit einem Therapeuten zu beginnen.
Hinweise
- Achte darauf, dass du ungestört bist. Da der Körper in einen tiefen Entspannungszustand verfällt, kann es passieren, dass bei Berührung dein Körper in den Panikmodus verfällt. Das kannst du aktiv nicht kontrollieren.
- Mach es dir möglichst bequem. Es gibt kaum etwas schlimmeres, als eine unbequeme Haltung. Wer kann sich da schon entspannen? Da wir Yoga Nidra zwischen 20 und 45 Minuten andauert, empfehle ich dir immer eine bequeme Haltung einzunehmen, um dich besser auf die Praxis einlassen zu können.
- Du kannst jede beliebige Haltung einnehmen. Du musst nicht auf dem Rücken liegen, wenn das unbequem ist. Du kannst dir Support von Kissen, Decken oder einem Stuhl nehmen.
- Versuche Yoga Nidra nicht unbedingt im Bett zu üben. Das Bett wird in den meisten Fällen mit Schlaf assoziiert. Wenn du nun im Bett übst, kann es sein, dass du einfach einschläft – und das wollen wir eigentlich vermeiden.
- Decke dich zu. Auch wenn dir im Moment nicht kalt ist, decke dich zu. Ich garantiere dir, wenn du dich nicht bewegst und dünn gekleidet bist, wirst du frieren – und dabei kannst du auch schlecht entspannen.
Das Panchamaya Kosha System
Yoga Nidra ist eng mit dem Panchamaya-Kosha-Modell verbunden. In einer klassischen Praxis durchlaufen wir bewusst alle fünf Schichten des menschlichen Seins: vom physischen Körper bis hin zur Glückseligkeitsschicht.
„Glückseligkeit“ klingt vielleicht abstrakt, doch jeder kennt Momente davon: ein Augenblick vollkommener Zufriedenheit, ein tief bewegendes Konzert oder ein intensiver Moment der Nähe. In Yoga Nidra öffnet sich dieser Zustand ganz von allein – ohne äußeren Reiz, allein durch die Praxis.

Die obere Abbildung stellt diese verschiedenen Schichten dar – aber wie kann das in einer Yoga Nidra Praxis aussehen? Im klassischen Yoga Nidra durchläuft man die Schichten und nutzt spezielle Übungen dafür:
- Annamaya Kosha: Bodyscan. Nacheinander fokussieren wir uns auf unterschiedliche Körperteile. Zum Beispiel wandern wir von den Zehen bis hoch zur Stirn, ohne den Bereich zu bewegen.
- Pranamaya Kosha: Atembeobachten oder spezielle Atemübung. Brahmari, die Bienenatmung, ist eine gern genutzte Übung im Yoga Nidra oder das Atemzählen. Wir zählen dabei jeden Atemzug – aber Vorsicht, hier schläft man schnell ein!
- Manomaya Kosha: Vorstellen von Empfindungen. Beispielsweise könntest du hier gefragt werden, dir vorzustellen, dass du ganz schwer bist und dann wieder ganz leicht wie eine Feder.
- Vijnanamanya Kosha: Vorstellen von Bildern. Du wirst beispielsweise gefragt, dir nacheinander verschiedene Bilder vorzustellen, entweder ausgedacht oder aus der Erinnerung. Das könnte ein Hase sein, der auf einer Wiese rennt oder eine untergehende Sonne.
- Anandamaya Kosha: Einfach sein. Hier sind wir einfach und nehmen diese Erfahrung wahr.
Der Unterschied zwischen Schlaf, Ruhe und Entspannung
Wir verwechseln oft Schlaf, Ruhe und Entspannung. Dabei sind es drei unterschiedliche Zustände:
- Schlaf: völliger Bewusstseinsverlust, der der Erholung dient.
- Ruhe: ein aktives Loslassen von Anspannung, das zur Regeneration führt.
- Entspannung: die Abwesenheit von Spannung, bei gleichzeitig wachem Bewusstsein.
Im Yoga Nidra trainieren wir genau diesen Zustand bewusster Entspannung – ein Zustand, den viele im Alltag kaum noch kennen.
Schlussworte
Yoga Nidra ist eine der zugänglichsten und gleichzeitig wirkungsvollsten Praktiken des Yoga. Es braucht nichts weiter als einen Körper und die Bereitschaft, sich auf die Erfahrung einzulassen.
In den USA ist Yoga Nidra bereits fester Bestandteil von Therapieprogrammen, vor allem für Veteranen mit PTBS. Auch in Deutschland wächst das Interesse – wenn auch noch mit wenigen wissenschaftlichen Studien.
Am Ende aber zählt deine eigene Erfahrung: Probiere es aus, lege dich hin, folge der Anleitung – und spüre, wie Körper, Geist und Seele in einen tiefen Zustand von Ruhe und Heilung eintreten. Auf meinem YouTube Kanal kannst du verschiedene Yoga Nidra Stile ausprobieren.
Danke, für dein Vertrauen!
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