Im Yoga wird der Mensch nicht nur als physischer Körper verstanden. Vielmehr besteht er aus verschiedenen Schichten, die miteinander verwoben sind. Dieses Modell nennt sich Panchamaya Kosha System („pancha“ = fünf, „maya“ = Hülle, „kosha“ = Schicht oder Körper). Man kann es sich vorstellen wie die Schalen einer Zwiebel: außen der grobstoffliche Körper, darunter immer feinere Ebenen, bis wir schließlich zum innersten Kern, der Glückseligkeit, gelangen. Da der Begriff „Kosha“ sowohl für Schicht als auch mit Körper übersetzt werden kann, spreche ich in diesem Artikel von beiden Begriffen synonym.
Das Panchamaya-Kosha-System ist besonders im Yoga Nidra oder in der Meditation von Bedeutung. Hier reisen wir bewusst durch die verschiedenen Schichten, um Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen.
Dieser Artikel erklärt dir die einzelnen Schichten des Panchamaya Kosha Systems und warum wir das Modell im Yoga nutzen. Am Ende zeige ich dir eine Übung um deine Schichten selbst zu erleben!
Einführung
Was sind wir eigentlich? Nur unser Körper? Oder steckt da noch mehr hinter unserem Dasein?
In unserer westlichen Gesellschaft verbinden wir „uns selbst“ meist mit dem Körper oder dem Verstand. Wir erklären Empfindungen über Nervenbahnen, Gedanken über chemische Prozesse im Gehirn. Das war jedoch nicht immer so. Über die Jahrhunderte hinweg haben sich die Vorstellungen darüber, wer oder was der Mensch ist, ständig verändert.
Manche Menschen glauben an eine Seele, die irgendwo im Körper wohnt. Andere sagen: Wir bestehen nur aus Materie und Geist – sonst nichts. Und du? Was glaubst du?
Blickt man in andere Kulturen, eröffnet sich ein anderes Bild: In Indien, im Yoga und Ayurveda, wird der Mensch seit Jahrtausenden als ein vielschichtiges Wesen verstanden. Auch in China oder in den Religionen der Welt finden sich Theorien, die weit über die rein körperliche Sichtweise hinausgehen.
In der yogischen und ayurvedischen Philosophie – genauer im Samkhya-System – finden wir das Modell der Panchamaya Koshas: fünf Schichten, die unser Menschsein ausmachen.
Diese fünf Schichten sind:
- die körperliche oder physische Schicht (Annamaya Kosha),
- die energetische Schicht (Pranamaya Kosha),
- die emotionale Schicht (Manomaya Kosha),
- die intellektuelle Schicht (Vijnanamaya Kosha),
- und die Schicht der Glückseligkeit (Anandamaya Kosha).
Man kann sich das vorstellen wie die Schalen einer Zwiebel: von außen nach innen, von greifbar zu subtil. In Praktiken wie Yoga Nidra reisen wir bewusst durch diese Ebenen – um Körper, Geist und Seele ins Gleichgewicht zu bringen.

Die einzelnen Schichten
Der physische Körper – Annamaya Kosha
Der physische Körper ist die äußerste Hülle – das, was wir sehen, anfassen und direkt beeinflussen können. „Anna“ bedeutet im Sanskrit „Nahrung“ – und genau daraus besteht unser Körper. Alles, was wir essen, trinken und wie wir uns bewegen, formt ihn.
👉 Beispiel: Wenn wir uns an einer heißen Herdplatte verbrennen, reagiert unser Körper sofort: Die Haut zieht sich zusammen, Schmerz breitet sich aus, vielleicht entsteht eine Blase. Das ist die Ebene des Annamaya Kosha – klar, greifbar, sichtbar.
Zu dieser Schicht gehören die fünf Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther). Sie formen unsere Knochen, Muskeln, Haut und Organe.

Der energetische Körper – Pranamaya Kosha
Hinter dem Sichtbaren liegt die Ebene der Lebensenergie (Prana). Diese Energie hält uns am Leben, durchdringt jede Zelle und fließt durch die Nadis (Energiekanäle). Es geht hier grundsätzlich um unser Energielevel.
Prana erhalten wir nicht nur über den Atem, sondern auch durch Nahrung, Sonnenlicht und soziale Kontakte. Ein intensives Gespräch mit einem lieben Menschen kann uns manchmal mehr Energie schenken als ein ganzer Teller voller Vitamine. Ayurveda sagt sogar, wenn Prana den Körper verlässt, also wir keine Lebensenergie mehr haben, sterben wir – und das ist total logisch: wir sterben, wenn wir keine Luft mehr bekommen oder nichts mehr essen (das dauert zwar etwas länger, wäre aber das Resultat). Auch wenn wir komplett isoliert sind, als Babys zum Beispiel, sterben wir.
👉 Beispiel: Nach einem erfüllenden Yoga Nidra fühlst du dich vielleicht leicht, weit und voller Energie – ohne dass du körperlich viel getan hast. Das ist Prana in Aktion.
Die Verteilung dieser Lebensenergie geschieht nicht zufällig. In der yogischen Philosophie wird beschrieben, dass Prana durch feine Energiekanäle – die Nadis – fließt. Dort, wo sich viele Nadis kreuzen, entstehen Energiezentren, die wir als Chakren kennen. Sie sind wie Knotenpunkte, an denen Lebensenergie gesammelt, transformiert und weitergeleitet wird. Die rechte Abbildung stellt die Entstehung der Chakren dar: die mittlere Linie ist das Shushumna Nadi, links und rechts verlaufen gegensätzlich voneinander Ida und Pingala.

Jedes Chakra steht für bestimmte Themen unseres Lebens: Das Wurzelchakra für Sicherheit und Stabilität, das Herzchakra für Liebe und Mitgefühl, das Kehlchakra für Ausdruck und Kommunikation. Sind die Chakren im Fluss, fühlen wir uns ausgeglichen, vital und verbunden. Blockaden hingegen können sich auf unser Energielevel, unsere Emotionen oder sogar unseren physischen Körper auswirken.
Der emotionale Körper – Manomaya Kosha
Die dritte Schicht repräsentiert die Ebene des Selbst, die Gefühle, Gedanken, Empfindungen, Bedürfnisse und Sinneswahrnehmungen hervorruft. Hier entstehen Freude, Trauer, Angst, Liebe – alles, was wir in unserem Inneren erleben. „Mano“ bedeutet „mentale Hülle“ oder „vom Geist geformte Hülle“ in der yogischen Philosophie.
Interessanterweise ist diese Schicht eng mit unseren Hirnwellen verbunden. Zustände wie Theta- oder Delta-Wellen (z. B. kurz vor dem Einschlafen oder im Tiefschlaf) bringen uns in Kontakt mit tieferen Emotionen und innerer Ruhe.
👉 Beispiel: Denk an einen Moment, in dem du traurige Musik gehört hast. Dein physischer Körper saß vielleicht ganz still, doch emotional spürtest du Schwere oder Sehnsucht. Das ist die Wirkung des Manomaya Kosha.
Der intellektuelle Körper – Vijnanamaya Kosha
Hier liegt unser Verstand, unsere Intuition und unsere Fähigkeit zur Lösungsfindung und Erkenntnis. „Vijnanamaya“ bedeutet Intellekt, Geist oder Erkenntnis. In dieser Schicht entwickeln wir Ideen, treffen Entscheidungen, finden Lösungen und geben unserem Leben Richtung.
👉 Beispiel: Stell dir vor, du hast einen Konflikt mit einer Freundin. Auf der emotionalen Ebene (Manomaya Kosha) fühlst du vielleicht Wut oder Traurigkeit. Doch im Vijnanamaya Kosha entsteht der Gedanke: „Ich rufe sie an und kläre das Gespräch.“ Der Intellekt übersetzt Emotion in Handlung.
Zu dieser Ebene gehören auch kreative Ansätze wie Heilung, Manifestation, Intuition und das Finden neuer Wege.
Der Glückseligkeitskörper – Anandamaya Kosha
Im Zentrum aller Schichten befindet sich die feinste Ebene: Anandamaya Kosha, der Körper der Glückseligkeit. Hier gibt es keine Gedanken, keine Bewertungen, keine Trennung. Nur reines Sein. „Ananda“ bedeutet so viel wie Glückseligkeit, Wonne, unbegrenzter Friede und Freude, die von äußeren Umständen unabhängig ist.
In diesem Zustand erleben wir tiefe Kreativität, Ekstase, innere Freiheit und absolute Verbundenheit. Es ist das Gefühl, „eins“ zu sein – mit uns selbst und mit allem, was uns umgibt.
👉 Beispiel: Vielleicht kennst du diesen Moment nach einer tiefen Meditation oder am Höhepunkt eines besonderen Erlebnisses – wenn die Zeit stillsteht, der Atem ruhig fließt und alles perfekt erscheint. Das ist ein kurzer Einblick in Anandamaya Kosha.
Warum nutzen wir im Yoga das Modell der Koshas?
Das Panchamaya-Kosha-System ist nicht nur eine schöne Theorie – es ist ein praktisches Werkzeug. Im Yoga geht es darum, alle Ebenen unseres Seins ins Gleichgewicht zu bringen. Das Modell der fünf Schichten hilft uns, uns selbst besser zu verstehen: Warum wir manchmal voller Energie sind, an anderen Tagen erschöpft. Warum wir bei Stress nicht nur körperlich, sondern auch emotional und geistig reagieren.
Indem wir die Koshas bewusst wahrnehmen, können wir gezielt Übungen auswählen: Asanas für den physischen Körper, Pranayama für den energetischen Körper, Meditation für den emotionalen und intellektuellen Körper und Yoga Nidra oder tiefe Kontemplation für die Ebene der Glückseligkeit. So wird Yoga zu einer ganzheitlichen Praxis, die über das reine „Körpertraining“ hinausgeht.
Koshas im Alltag erleben
Man muss nicht stundenlang meditieren, um die fünf Schichten zu spüren. Jeder von uns erlebt sie im Alltag – oft, ohne es zu merken.
👉 Beispiel: Stell dir vor, du gehst joggen. Dein physischer Körper (Annamaya Kosha) wird bewegt, dein Atem wird tiefer und Prana fließt (Pranamaya Kosha). Vielleicht fühlst du dabei Freude oder Frustration (Manomaya Kosha). Dein Verstand sagt dir: „Halte noch fünf Minuten durch“ (Vijnanamaya Kosha). Und nach dem Lauf, wenn alles zur Ruhe kommt, spürst du eine tiefe Zufriedenheit – ein Hauch von Anandamaya Kosha.
So hilft das Modell, den Alltag bewusster wahrzunehmen und zu verstehen, warum wir uns in bestimmten Situationen so fühlen, wie wir uns fühlen.
Koshas und Yoga Nidra
Besonders deutlich wird das Panchamaya-Kosha-System in der Praxis von Yoga Nidra, dem yogischen Schlaf. Während dieser Tiefenentspannung reisen wir bewusst durch alle fünf Schichten. Wir entspannen den Körper, lenken die Aufmerksamkeit auf den Atem, lassen Gefühle und Gedanken kommen und gehen, beobachten den Geist – und tauchen schließlich in die Schicht der Glückseligkeit ein.
Diese Reise durch die Koshas wirkt wie ein Reset-Knopf: Körper, Energie, Emotionen und Gedanken kommen wieder in Einklang. Viele Menschen berichten danach von mehr Klarheit, innerer Ruhe und Kreativität.
Fazit: Erlebe deine eigenen Schichten
Das Panchamaya-Kosha-System zeigt uns, dass wir mehr sind als nur unser Körper oder unser Verstand. Wir bestehen aus fünf Schichten, die alle miteinander verwoben sind – und die alle gepflegt und wahrgenommen werden wollen.
Anstatt das Modell nur theoretisch zu betrachten, lade ich dich ein, es selbst zu erleben. Schon eine kurze Yoga Nidra Praxis oder ein paar Minuten bewusste Atmung können dir helfen, die verschiedenen Ebenen zu spüren: deinen Körper, deine Energie, deine Emotionen, deine Gedanken – und vielleicht sogar einen Hauch von innerer Glückseligkeit.
Anzumerken ist natürlich, dass das Modell eben nur ein Modell ist. Es kann nicht für alle Probleme oder in allen Bereichen gleich angewandt werden kann. Außerdem ist das Modell mehrere 1000 Jahre alt und in manchen Hinblicken veraltet. Dennoch bietet es, vor allem für unsere Yogapraxis, einen guten Rahmen.
👉 Praktische Übung: Probiere einfach eine 20-minütige Yoga Nidra Einheit aus und erfahre deine einzelnen Schichten. Deine Schicht der Glückseligkeit wirst du vielleicht nicht beim ersten Mal erreichen, aber du bekommst vielleicht schonmal eine Ahnung von diesem Gefühl – und ich verspreche dir, das Gefühl ist es wert!
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